Frankreich, Champagner, Frauen

Während des Ersten Weltkriegs lag die Champagne an der Front, Männer fehlten und die Produktion drohte zum Stillstand zu kommen. Frauen übernahmen Weinberge, Keller und Leitung – und sicherten damit das Überleben eines ganzen Wirtschaftszweigs.

Als im August 1914 die Mobilmachung begann, veränderte sich die Champagne innert Tagen. Reims und Épernay, Zentren der Champagnerproduktion, lagen plötzlich in Reichweite der Front. Während Männer in Uniformen verschwanden, blieben die Weinberge zurück – und mit ihnen die Frauen, die nun Aufgaben übernahmen, die zuvor fast ausschliesslich Männern vorbehalten gewesen waren.

Aus Not geboren bis hin zum Erfolgskonzept

Die Grundlagen dafür existierten längst. Seit dem 19. Jahrhundert hatten Frauen immer wieder Schlüsselrollen gespielt: Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin etwa, die nach dem Tod ihres Mannes 1805 das Haus Veuve Clicquot führte und 1816 die Remuage-Methode einführte; oder Jeanne Alexandrine Pommery, die die Entwicklung des Brut-Champagners förderte. Diese Tradition weiblicher Führung bildete den historischen Hintergrund für das, was im Ersten Weltkrieg zur Notwendigkeit wurde.

  • Produktionsketten mussten neu geordnet werden

    Als der Krieg die Region erfasste, wurden die Weinberge zu Arbeitsfeldern unter Beschuss. Granaten zerstörten Parzellen, Keller dienten gleichzeitig als Schutzräume und Produktionsstätten. Die männliche Arbeitskraft fehlte fast vollständig – Winzer, Kellermeister, Transportarbeiter, Fassbinder waren an der Front oder in Gefangenschaft. Frauen, oft unterstützt von Jugendlichen und älteren Männern, mussten innert kürzester Zeit die gesamte Produktionskette übernehmen: Rebschnitt, Pflanzenschutz, Lese, Pressung, Flaschenpflege und Verwaltung.

Frauen sicherten die Zukunft der Champagne

Zeitgenössische Berichte zeigen ein eindrückliches Bild dieser Umstellung. In Épernay etwa führte Jeanne Krug das Champagnerhaus weiter, während ihr Mann in deutscher Kriegsgefangenschaft war. In zahlreichen kleineren Betrieben übernahmen Ehefrauen und Töchter ohne formale Ausbildung die Kellerarbeit – eine Aufgabe, die körperlich anspruchsvoll war und ein präzises Verständnis der Gärprozesse verlangte. Dokumente aus dem Département Marne beschreiben Frauen, die unter tagelangem Beschuss Trauben lasen, weil ein Auslassen der Lese den Ruin bedeutet hätte.

Die Keller wurden in dieser Zeit zu Orten des Durchhaltens. Viele Frauen schliefen zwischen den Fässern, wenn Bombardierungen Reims und die umliegenden Dörfer erschütterten. Gleichzeitig setzten sie Produktion und Lagerung fort, um die wirtschaftliche Grundlage ihrer Häuser zu sichern. In manchen Betrieben wurden Flaschen nur nachts bewegt, um nicht Ziel von Artillerie zu werden.

  • Die Grundlage zum Wiederaufbau war geschaffen

    Als der Krieg 1918 endete, lag die Region schwer beschädigt darnieder. Tausende Hektaren Rebfläche waren zerstört, viele Häuser hatten ihre Inhaber verloren. Doch ein erheblicher Teil der Bestände war dank der Arbeit der Frauen erhalten geblieben. Diese Kontinuität bildete die Grundlage für den Wiederaufbau, der in den 1920er-Jahren begann. Frauen blieben während dieser Phase nicht nur in der Produktion tätig, sondern auch in administrativen und organisatorischen Funktionen, weil ihre kriegsbedingte Erfahrung sie unverzichtbar gemacht hatte.

  • Die Rolle der Frau hatte sich für immer gewandelt

    Obwohl die Branchenstruktur später wieder stärker von Männern geprägt wurde, veränderte der Krieg die Rolle der Frauen nachhaltig: Ihre Kompetenz war nicht mehr zu übersehen. In der Folge wuchs ihr Einfluss in Önologie, Marketing und Betriebsführung weiter – bis in die Gegenwart.

    Die Geschichte der Champagne im Ersten Weltkrieg ist deshalb nicht nur eine von Zerstörung und Wiederaufbau. Sie ist auch die Geschichte eines Wirtschaftszweigs, der durch die Arbeit unzähliger Frauen weiterbestand und sich erneuerte. Ohne sie hätte die Champagne ihren internationalen Stellenwert kaum so bewahren können.